Dein Partner oder deine Partnerin ist süchtig – oder du befürchtest, dass es so ist? Du willst helfen, aber jedes Gespräch endet im Streit? Egal, ob die geliebte Person an deiner Seite zu viel trinkt, Medikamente missbraucht, Drogen nimmt oder sonstiges Suchtverhalten zeigt: Sucht betrifft nicht nur die süchtige Person, sondern auch ihr Umfeld.
In diesem Artikel erfährst du, was du als Angehörige*r einer suchtkranken Person tun kannst, was man unter Co-Abhängigkeit versteht und warum Selbstfürsorge gerade jetzt so wichtig ist für dich.
Vielleicht ist dir gerade erst bewusst geworden, dass du in co-abhängige Muster verstrickt bist oder du weißt es schon länger und fühlst dich jetzt bereit, die ersten Schritte zu gehen, um da nach und nach rauszukommen und wieder zu dir zu finden.
Jedenfalls bist du offensichtlich an dem Punkt, an dem du aktiv nach Unterstützung und Lösungsmöglichkeiten suchst. Ich freue mich riesig, dass du diesen Schritt gehst, denn ich kenne Co-Abhängigkeit aus eigener Erfahrung sehr gut.
Ich war selbst sieben Jahre lang in einer Beziehung mit einem suchtkranken Partner. Das heißt, ich kenne diese Zerrissenheit, dieses Funktionieren, die Wut, Schuld und Scham und alles, was da dazugehört sehr, sehr gut.
Über die Jahre habe ich mich langsam, Schritt für Schritt aus der Co-Abhängigkeit befreit und habe wieder zu mir selbst gefunden.
Heute begleite ich als mehrfach zertifizierter Coach Menschen, die von Co-Abhängigkeit betroffen sind dabei, die Aufmerksamkeit wieder auf sich selbst zu lenken und gut für sich selbst zu sorgen.
Was ist Co-Abhängigkeit eigentlich und warum ist sie problematisch?
Im Zusammenhang mit Suchterkrankungen versteht man unter Co-Abhängigkeit, dass neben der betroffenen Person auch andere Menschen, insbesondere die Angehörigen, in die Abhängigkeit verwickelt sind. Co-Abhängigkeit beschreibt dabei Verhaltensweisen, die einerseits zu Überlastung, Erschöpfung und Krankheit führen können und die außerdem paradoxerweise unabsichtlich dazu führen können, dass die suchtkranke Person länger braucht, um sich Hilfe zu holen.
Der Begriff Co-Abhängigkeit ist nicht einheitlich definiert. Er stammt aus den 40ern, 50ern, wo er auf Angehörige von Alkoholkranken bezogen wurde. Co-Abhängigkeit tritt allerdings nicht nur in Zusammenhang mit Sucht auf. Denn so unterschiedlich diese Verhaltensmuster sein können: Im Kern versuchen Betroffene, anderen über die Maße zu helfen – oft über die eigenen Grenzen hinweg. Besonders gefährdet sind also auch Menschen, die sich um Personen mit anderen physischen oder psychischen Krankheiten oder Beeinträchtigungen bzw. Behinderungen kümmern. Co-Abhängigkeit kann aber auch ohne der Anwesenheit von Krankheit, Behinderung oder Beeinträchtigung auftreten.
Wer kann in co-abhängige Muster geraten & wie sehen diese aus?
Im Grunde kann also jeder in solche Muster geraten. Betrachten wir Co-Abhängige innerhalb des Sucht-Systems, sind es in der Regel Nahestehende der suchtkranken Person. Sucht beeinflusst das gesamte Umfeld des Suchtkranken, sie betrifft nicht nur die Person, die süchtig ist.
Allerdings entwickelt nicht automatisch jeder Angehörige eines Suchtkranken co-abhängige Muster. Je länger die Sucht andauert, desto größer ist die Gefahr, dass sich Co-Abhängigkeit entwickelt.
Wie oben angesprochen können co-abhängige Muster auch ohne Sucht im Beziehungssystem des Betroffenen entstehen. Das bedeutet auch, dass es durchaus häufig vorkommt, dass diese Muster – wenn vielleicht auch nicht so deutlich ausgeprägt – schon VOR der Suchtsituation entstanden sind, manchmal bereits in der Kindheit.
Typische Verhaltensweisen sind u.a.
- übermäßige Hilfsbereitschaft/Opferbereitschaft
- Verdrängung von Problemen
- geringes Selbstwertgefühl
- Verdrängung/Unterdrückung eigener Gefühle und Bedürfnisse
- übermäßiges Grübeln, vor allem auch über das Verhalten anderer
- starkes Kontrollbedürfnis
- Abhängigkeit von Bestätigung im Außen
- Schwierigkeiten, ehrlich und wertschätzend zu kommunizieren
- Schwierigkeiten, Grenzen zu setzen
- Schwierigkeiten zu vertrauen
Du siehst, co-abhängige Muster können sehr vielfältig sein. Im Suchtsystem ist es anfangs oft der Versuch die Sucht zu verdrängen, zu verstecken oder zu entschuldigen.
Ein anderes typisches Merkmal ist eine übertriebene Opferbereitschaft. Das heißt, du bist so sehr für die suchtkranke Person da, dass du gar nicht mehr auf deine eigenen Bedürfnisse schaust, dass du deine eigenen Grenzen nicht mehr wahrst, sondern dich im wahrsten Sinne des Wortes aufopferst für die andere Person.
Und auch der Versuch, die suchtkranke Person zu kontrollieren ist ein ganz typisches Muster von Co-Abhängigkeit.
Phasen in der Co-Abhängigkeit
Diese Verhaltensweisen äußern sich oftmals in verschiedenen Phasen.
Beschützerphase
Zu Beginn der Sucht bzw. der Beziehung mit einem Suchtkranken kann es gut sein, dass du hilfst und unterstützt, wo es nur geht. Dazu zählt häufig auch, dass du mithilfst, die Sucht zu verheimlichen. Vielleicht entschuldigst du deinen Partner/deine Partnerin bei der Familie oder Freunden. Vielleicht rufst du für die Person in der Arbeit an, um sie krankzumelden. Du übernimmst Dinge, die eigentlich Aufgabe des/der Suchtkranken wären.
Kontrollphase
Dann kommt häufig die Kontrollphase. Eigentlich eher Kontroll-Versuchs-Phase, denn es ist schlichtweg nicht möglich, das Verhalten einer anderen Person zu kontrollieren. Aber genau das möchtest du: Du versuchst, das Konsumverhalten zu kontrollieren. Vielleicht zählst du die Flaschen, durchwühlst den Müll oder bist ganz besonders aufmerksam, ob die Person nüchtern wirkt oder nicht.
Anklagephase
Irgendwann kommt dann auch die Anklagephase, wo du einfach wütend bist, wo du Vorwürfe machst, weil die Person trotz all deiner Bemühungen einfach nicht nüchtern wird oder nicht nüchtern bleibt. Du bist erschöpft, weil du alles tust, was du kannst und sogar noch mehr – doch der oder die Süchtige ändert sich nicht.
Verachtung und Wut sind in dieser Phase durchaus typische Gefühle, genauso wie Schuld und Scham, weil dir die Person gleichzeitig auch leid tut. Du bist also mit einem komplexen Mix aus Gefühlen konfrontiert.
Diese Phasen können in unterschiedlicher Reihenfolge auftreten und auch immer wiederkommen.
Auswirkungen von Co-Abhängigkeit
In der Beziehungsdynamik mit einer suchtkranken Person, in der du co-abhängige Muster entwickelst, kommst du irgendwann in einen ungesunden Kreislauf des Helfen-Müssens.
Doch dieses ständige Zurückstellen deiner eigenen Bedürfnisse, dieses ständige Über-deine-eigenen-Grenzen-Hinweg-Gehen, das ist langfristig schädlich für dich selbst.
Du vernachlässigst deine eigene Gesundheit, du vernachlässigst dein eigenes Leben zugunsten der suchtkranken Person. Dein Fokus liegt nur noch oder hauptsächlich auf der suchtkranken Person.
Das kann auf Dauer zu körperlichen und psychischen Problemen und sogar Krankheiten führen, wie z.B. ständige Müdigkeit, Rückenschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Schlaflosigkeit bis hin zu Angststörungen oder Depressionen.
Dazu kommt, dass diese ganze Dynamik oft auch zu sozialer Isolation führt, weil du dich nur noch um die suchtkranke Person kümmerst. Vielleicht möchtest du sie auch nicht alleine lassen. Einfach mal ganz entspannt mit Freunden essen gehen oder ins Kino wird immer schwieriger.
Wenn sich dein Leben dann nur noch um die Sucht dreht, kann es sein, dass du dich irgendwann wie betäubt fühlst, dass du dich selber gar nicht mehr spürst, dass du deine Bedürfnisse gar nicht mehr wahrnimmst und du einfach nur noch funktionierst.
Und wie eingangs schon angesprochen, kann all das paradoxerweise dazu führen, dass der Suchtkranke eher in der Sucht bleibt, weil du mit all dem die Konsequenzen für die betroffene Person abmilderst. Das heißt, der Leidensdruck ist nicht so groß wie er ohne diese Unterstützung von dir wäre, und das kann dazu führen, dass die Motivation zu einer Veränderung nicht so hoch ist.
Ganz wichtig dabei ist: Du bist nicht schuld daran und es ist nicht deine Verantwortung. Co-Abhängigkeit ist ein unbewusster Mechanismus, es ist eine Bewältigungsstrategie, um mit einer extrem belastenden Situation umzugehen.
Niemand fördert absichtlich das Suchtverhalten einer geliebten Person. Du willst das Beste für diesen Menschen und tust alles was du kannst dafür, dass es ihr besser geht.
Was kannst du tun, wenn es dir selbst nicht mehr gut geht?
Richte den Fokus auf das, was du beeinflussen kannst
Der Weg aus co-abhängigen Mustern beginnt damit, dass du dir bewusst machst, dass du keinen Einfluss und keine Kontrolle über das Verhalten der suchtkranken Person hast. Du hast aber sehr wohl Einfluss auf dein eigenes Verhalten.
Der erste Schritt ist also ein Fokus-Wechsel. Wechsle den Fokus von etwas, was außerhalb deiner Kontrolle liegt, nämlich dem Verhalten der anderen Person, hin zu deinem eigenen Kontrollbereich.
Du kannst kontrollieren, was du tust. Du hast Einfluss auf dein eigenes Leben. Richte deine Aufmerksamkeit also auf das, was du in der Hand hast. Und das ist dein eigenes Verhalten.
Gib Verantwortung zurück, die nicht deine ist
Mach dir immer wieder bewusst, dass deine Verantwortung dein eigenes Wohlbefinden ist und die Verantwortung für das Wohlbefinden, für die Gesundheit der anderen Person liegt bei der anderen Person. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Also übernimm die Verantwortung, die wirklich dir gehört. Das ist die für dich, für dein Leben, für dein Wohlbefinden, für deine Gesundheit.
Kommunikation auf Augenhöhe
Sucht ist eine Krankheit, kein Fehlverhalten und keine Charakterschwäche. Die suchtkranke Person macht dir nichts zufleiß. Führe Gespräche über eure Beziehung, über deine Wünsche und Sorgen nur dann, wenn dein Gegenüber nüchtern ist.
Übe dich in der Kommunikation mit der suchtkranken Person darin, dass du bei dir bleibst, dass du keine Vorwürfe machst, sondern in Ich-Botschaften sprichst.
„Ich mache mir Sorgen um dich.“
„Ich brauche Zeit für mich.“
„Ich brauche Ruhe.“
Setze Grenzen
Grenzen zu setzen ist gesund und wichtig. Mach dir bewusst: Du setzt grenzen FÜR DICH, nicht gegen die andere Person.
Übe dich darin Nein zu sagen, und die Verantwortung bei der anderen Person zu lassen. Übe dich darin, klar auszusprechen, was du möchtest und nicht möchtest.
Habe Geduld mit dir
Erwarte keine Wunder. Weder auf deiner Seite noch auf der Seite der anderen Person. Sei mitfühlend mit dir selbst. Du bist vielleicht schon sehr, sehr lange in diesen Mustern. Es ist ganz normal, dass du dein Verhalten nicht schlagartig verändern kannst.
Bleib dran und lass dich nicht entmutigen, wenn du wieder in alte Muster fällst. Es ist okay.
Gehe den Weg nicht alleine
Ich möchte dich auch ganz herzlich dazu ermutigen, diesen Weg nicht alleine zu gehen. Es gibt die verschiedensten kostenlosen Hilfsangebote. Es gibt zum Beispiel verschiedene Selbsthilfegruppen. AlAnon ist eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Alkoholikern. Es gibt auch eine spezielle Selbsthilfegruppe für Menschen mit Co-Abhängigkeit.
Informiere dich über Angebote in deiner Umgebung. Oft bieten Selbsthilfegruppen auch Online-Meetings an. Es kann wirklich sehr, sehr entlastend sein, dich mit anderen Betroffenen auszutauschen, ohne gutgemeinte Ratschläge zu bekommen.
Wünschst du dir professionelle Begleitung, melde dich gerne für ein unverbindliches, kostenloses Erstgespräch bei mir.
Der Weg aus co-abhängigen Mustern braucht Zeit und Geduld. Und es lohnt sich so sehr, denn er führt dich zu einem viel selbstbestimmteren Leben, unabhängig vom Verhalten der suchtkranken Person.